Rodrigo Valenzuela I Afterwork

28 April - 28 Mai 2022
Übersicht

Auf dem Höhepunkt der frühindustriellen Stahlproduktion wurden die Arbeiter:innen als eine Art Maschine behandelt, deren Körper das Licht entzogen und in das in glühende Stahlstäbe, Schweiß und Kapital umgewandelt wurde. Wie ein Stahlarbeiter dem Schriftsteller Hamlin Gardland 1894 in Homestead, Pennsylvania, erzählte: "Man fängt an, ein Mensch zu sein, aber man wird immer mehr zu einer Maschine". Ein anderer Arbeiter sagte über die körperliche Arbeit: "Sie schwitzt das Leben aus einem Menschen heraus.“ 

 

Der Rauch in Rodrigo Valenzuelas neuer Fotoserie erinnert an den lodernden Dampf und die flammende weiße Hitze des Stahls im Entstehungsprozess, aber auch an die Perspiration im Zuge der Arbeit, die auf unbestimmte Zeit in der Luft hängt. Die rauchigen Konstruktionen gleichen alten Fotografien von Fabrikhallen der Eisen- und Stahlindustrie, allerdings ohne die Arbeiter:innen, die die riesigen Maschinen zum Leben erweckten und ihnen ihr kolossales Ausmaß verliehen. In diesen entvölkerten Fotografien sind Betrachter:innen ihrer eigenen Vorstellungskraft überlassen. Die silbrigen Farbtöne der Fotografien erinnern an den Glanz von W. Eugene Smiths Fotografien von Pittsburgh in den 1950er Jahren, von jenem Höhepunkt des Jahrzehnts, der dem jähen Niedergang vorausging, und von einem fotografischen Auftrag, der ihn fast in den Wahnsinn trieb. 

 

Valenzuelas zeitgenössische Frankenstein'sche Konstruktionen sind bedrohlich, seltsam und haben eine unheimliche Seite, die durch die Bedrohung von Metallketten und schweren Haken verkörpert wird. Aber sie sind auch delikat und beinahe sympathisch. Indem der Künstler das Erkennen einiger seiner Teile - wie die spinnenartigen Beine eines wiederverwendeten Regenschirms - zulässt, gewährt er einen Einblick in seinen genialen Prozess der Wiederverwendung. Die Fotografie wird hier mit der Aufgabe betraut, eine Welt zu erschaffen und eine Vision von einem Leben nach dem Tod zu kreieren, in dem der Kapitalismus mit Fantasie bekämpft werden kann. Diese Bilder sind sowohl in als auch außerhalb der Zeit. Sie erinnern an die dröhnenden Stahlwerke der Vergangenheit, die schnell wieder verlassen werden, sobald sie veraltet sind. Sie bieten auch eine retrofuturistische Vision, den Blick auf frühere mögliche Zukünfte, in denen Arbeiter:innen und Maschinen einen besseren Plan als ihre gegenseitig zugesicherte Vergeblichkeit entwickelt haben. Aber als Stellvertreter für die wachsende Zahl von Arbeitnehmer:innen, die durch die Automatisierung enteignet werden, beschwören sie auch einen trostlosen Blick in die Zukunft. In ihrer Beschwörung der Geschichte der Arbeit und der Industrien, die von Menschen geschaffen wurden, um sich selbst in den Dienst des Kapitals zu stellen, überschneiden sich diese Fotografien mit den Kämpfen für die gewerkschaftliche Organisierung, einem langjährigen Interesse Valenzuelas. Sie besprechen den Wert des Körpers, der Ruhe und des Vergnügens.

 

Die Assemblagen beschwören auch das Fantastische in den imaginären Überschneidungen zwischen Körper und Maschine. Sind die arbeitenden Körper tatsächlich zu Maschinen geworden, alchemisiert durch die repetitive, gefährliche Arbeit zu rasselnden, donnernden Maschinen? Oder sind die Maschinen fleischig und sinnlich geworden und wollen mehr als nur stillgelegt und vergessen werden, sie werden in einem rauschenden Karneval lebendig, stoßen ineinander und transpirieren ausgiebig - nicht vor Arbeit, sondern vor Erleichterung? Valenzuela lädt Betrachter:innen ein, an der Fiktion teilzuhaben, an den rauchigen Möglichkeiten dessen, was passieren könnte, wenn die Arbeiter nicht mehr da sind: Kondensation, gefiltert durch pulsierendes Licht, Schufterei, die in Ekstase und Hingabe zerfließt. In ihrer Projektion einer Welt nach dem Ende der Arbeit spricht die Serie nicht nur von der Abschaffung einzelner Arbeiter:innen, sondern auch von der Idee der Arbeitskraft an sich, die durch die Formen, die wir hier sehen, beiseite geschoben wird: seltsame Maschinen und Automatisierung, Motoren, die keinen Bediener mehr benötigen, aber wüten, wenn niemand zuschaut. Die Arbeiter :innen haben die Fabrik verlassen. Für heute Nacht, oder für immer? 

Text von Paula Kupfer

Paula Kupfer ist Kunsthistorikerin und spezialisiert auf moderne Kunst und Fotografie aus Lateinamerika. Sie lebt in Pittsburgh, Pennsylvania

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Rodrigo Valenzuela (geb. 1982, Santiago, Chile) lebt und arbeitet in Los Angeles, Kalifornien. Valenzuela schloss ein Studium der Kunstgeschichte an der Universität von Chile ab (2004) und arbeitete anschließend im Baugewerbe, während er in den ersten zehn Jahren in den Vereinigten Staaten Kunstwerke schuf. Er erwarb einen BA in Philosophie am Evergreen State College und einen MFA an der University of Washington (2012). Er ist Professor für Kunst an der University of California, Los Angeles. ´

 

 

Zu seinen jüngsten Einzelausstellungen gehören Stature, Aysa Geisberg Gallery, New York (2020); JourneymanKlowden Mann, Culver City, CA (2020); Jornada, Kutztown University, Kutztown, PA (2019), Photography: Beyond the Surface, Musuem of Art and History, Lancaster, CA (2019), Past I Present, Upfor, Portland, OR (2019), Screen Series: Rodrio Valenzuela, New Museum, NY (2019), American Type, Laurence Miller Gallery, NY (2019) MASA, Arroniz Arte Contemporeano, Mexico City, Mexico (2019), The Return of the Real, USF Contemporary Art Museum, Tampa, FL (with Robert Lazzarini) (2019), American Type, Kathleen O. Ellis Gallery, Light Work, Syracuse, NY (2019), American Type, Galerie Kandlhofer, Vienna, Austria (2018)

 

Werke
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